Montag, 11. Juni 2012

"Bandämie" als Indikator für eine Infektion

Sie verstehen spanisch? Da ist es mir nicht anders gegangen, aber wir sollten von vorne gemeinsam beginnen:

Ich habe vor kurzem einen interessanten Artikel gelesen, in dem näher auf die Herausforderung eingegangen wird, dass Patienten mit Sepsis (und dokumentierten positiven Blutkulturen) zu einem großen Anteil (32%) beim Ankunft in der Notaufnahme keine erhöhte Temperatur aufweisen (definiert Temp >38.0 °C). 52% hatten auch keine erhöhten Leukozyten, ABER 80% hatten eine Bandämie.

Die Begrifflichkeit Bandämie war mir nicht so geläufig, habe etwas recherchiert, sogar Wikipedia gibt bereits Auskunft. Es handelt sich nach der im Paper genannten Definition um mehr als 5% unreife Vorstufen der Granulozyten.

Nun werden wir aber das Problem haben, dass zum einen meist von uns ein kleines Blutbild angefordert, zum anderen möglicherweise keine maschinelle Möglichkeit besteht, die Stabkernigen zu quantifizieren. Aufgrund der hohen Analysenzahlen erübrigt sich die Überlegung, dies händisch zu lösen. Mit dieser Frage haben ich mich an die Kollegen unseres Labors gewendet und folgende Antwort erhalten:






In der erwähnten Studie wurde „ Bandemia“ definiert als die Präsenz von mehr als 5% Stabkernige-Granulozyten in der mikroskopischen Ausstrichuntersuchung. Eine relative Linksverschiebung innerhalb der granulozytären Reihe bedeutet unreifere Formen über 5% Stabkernige hinaus und unter fließender Einbeziehung der vorangehenden Differenzierungsstufen (Metamyelozyten, Myelozyten, Promyelozyten bis hin zu Blasten).
Bei einer Linksverschiebung gilt, dass diese Zellformen umso seltener auftreten, je unreifer sie sind und dass sich eine lückenlose Reihe von Segmentkernigen u. U. bis zu Blasten aufstellen lässt. Für die Klinische Bewertung der einzelnen Leukozytenuntergruppen ist ihre Konzentration entscheidend, d.h. aus Leukozytenzahl und prozentualem Anteil muss die Konzentration bzw. die Absolutzahl der Zellen berechnet werden. Bakterielle Infektionen verursachen i.d.R. eine neutrophile Granulozytose mit Linksverschiebung.

Hier eine interessante Darstellung aus dem InternetWeiterhin besteht bei den “Stabkernigen” das Problem der Definition. Unser Leiter des Labors, Prof. Dr. T. Bertsch meinte hierzu: "Du siehst wir haben das menschliche Genom sequenziert, stellen humanisierte monoklonale therapeutische Antikörper her und bezüglich der Definiton von Blutzellen wird noch diskutiert."  Treffende Aussage, oder?


Und nun geht es weiter:



Für die in der Studie erwähnten Patienten (Alter > 18, V.a. Infekt, Temperatur unauffällig, keine Leukozytose) könnte ich  mir folgende Vorgehensweise vorstellen:
Sollte eine Differenzierung erforderlich sein, kann der zuständige Arzt in der Notaufnahme erstmals ein maschinelles großes Blutbild (beinhaltet die Beurteilung aller zellulären Bestandeile des Blutes) anfordern (spätestens 3 Stunden nach der Probenabnahme). Sollte das Ergebnis unauffällig sein (keine Fehlermeldung bzw. Warnhinweis am Gerät, Absolutzahlen der Leukozyten-Subpopulationen unauffällig), könnte man das Ergebnis des maschinellen großen Blutbildes als negativen prädiktiven Wert (negativer Vorhersagewert ) benutzen, und man kann mit großer Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass keine  Linksverschiebung vorliegt.

Seitens der Herstellerfirma unseres Hämatologieautomaten steht eine Antwort noch aus, inwieweit die Geräte der neuen Generation eine automatisierte Quantifizierung der unreifen Granulozyten ermöglichen. Der zur Zeit mitgemessene Parameter, IG(unreife Granulozyten), umfasst die Summe aus Metamyelozyten, Myelozyten und Promyelozyten. Stabkernige werden dabei nicht erfasst.  
Eine weitere Problematik besteht in der noch nicht standardisierten Definition der stabkernigen Granulozyten (Einschnürung/Kerndurchmesser; siehe oben).
Was die Interpretation betrifft, möchte ich anmerken, dass eine Linksverschiebung verschiedene Auslöser haben kann(Leukämien, Rauchen, Medikamente, aber auch physiologische Gründe).


Ich bedanke mich herzlich bei Frau Dr. Plank und Herrn Prof. Bertsch aus unserem Haus für diese Antwort. Man stellt sich als Kliniker häufig die Lösungsmöglichkeiten einfacher vor. 


Zusammenfassend denke ich aber auch, dass man sich durchaus mit einigen Technologien der von uns angeforderten Methoden auseinandersetzen muss, um gute klinische Entscheidungen treffen zu können. Ich fand den Austausch mit unseren Kollegen aus der Labormedizin wieder extrem spannend! Danke sehr!




1 Kommentar:

  1. Interessant. Mir ist aber nicht ganz klar, wie ich - auch bei ggf. verfügbarem Differential-Blutbild, handdifferenziert - in der Notaufnahme einen Ausschluss oder Nachweis einer Sepsis daraus machen soll. Gibt es Zahlen zur Spezifität oder Sensitivität? Kann leider privat nicht auf den Artikel zugreifen.
    Fraglich auch, ob der Mehraufwand (Personal! Zeit!) lohnt - ergäbe sich ein besseres Outcome? Oder wäre es nur ein weiterer Schritt weg von der klinischen Diagnose hin zur Laborwert-Gläubigkeit..?

    Die Definition einer Sepsis umfasst ja Bakteriämie und SIRS als obligatorisch. Und in der SIRS-Definition ist meines Wissens ja die Option ">10 % unreife neutrophile Granulozyten im Differentialblutbild" als Parameter enthalten. Insofern eigentlich naheliegend, dass dann auch dieser Parameter mit der Diagnose einer Sepsis positiv korreliert. Oder denke ich irgendwie um die verkehrte Ecke?!

    Das SIRS ist letztlich ja auch ohne Fieber oder Leukozytose diagnostizierbar. Dazu eine Infektion (klinische Diagnose) oder objektive Infektzeichen - Sepsis.
    Freue mich auf die Diskussion.

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