Sie haben noch nie differentialdiagnostisch an eine
Kobaltintoxikation bei einem Patienten in der Notaufnahme gedacht? Wirklich
nicht .... zum Trost, mir geht es ähnlich.
Ich habe auch nur in den steltensten Fällen an eine Kobaltintoxikation gedacht ;-)
Typisch für eine schwere Kobaltintoxikation sind Symptome der Neurotoxizität (allerlei
mögliche neurologische Symptome wie Taubheit, Retinopathie, N. opticus Ausfall,
kognitive Einschränkung, Tremor etc.), Hypothyreoidismus, und Kardiomyopathie.
Trotzdem ist dies nicht alltäglich. Die Inhalation von Kobalt kam früher in der Metallverarbeitenden
Industrie vor, bei den Reglementierungen in Europa wird des aktuell eher selten
der Fall sein. Zumindest habe dies nie selbst erlebt (oder nicht daran gedacht
;-)
Deshalb finde ich einen Fallbericht aus Clin Toxicol 2012
sehr interessant: Es wird ein 56 jähriger Tscheche beschrieben, der Symptome
einer schweren Kobaltintoxikation entwickelt hat nachdem eine frühere Hüftprothese
wegen Malfunktion operativ ausgetauscht werden musste: Er hat dieses Mal eine
„Metal-on-metal“ Prothese erhalten, deren Legierung aus Kobalt, Chrom und Titan
besteht. In der Fallbeschreibung – die durchaus methodisch diskussionswürdig
ist – wird die Symptomatik des Patienten auf eine Kobaltintoxikation
(Kobaltkonzentration im Blut: 506mcg/L; Referenz: <0,9mcg/L) zurückgeführt.
Er hatte einen Perikarderguss, Hypothyreoidismus, beidseitige Taubheit,
sensorimotorische Polyneuropathie der oberen und unteren Extremität!
Jetzt wird es
wirklich „strange“, oder?
Leider nein. Zwar habe ich entsprechende Berichte in
Deutschland in den letzten Monaten nicht mitbekommen, aber im British Medical Journal gibt es seit Monaten eine umfangreiche Diskussion zur Qualität von
Medizinprodukten wie z.B. von Hüftprothesen, die offensichtlich bisher nur
unzureichend von den Kontrollbehörden und Herstellern analysiert wurden.
Das Ergebnis ist ein Drama: von NICE in Großbritannien wird
seit ca. 10 Jahren gefordert, dass max. 10% der Hüftprothesen innerhalb von 10
Jahren wegen Malfunktion ausgetauscht werden dürfen. Manche Hersteller liegen
Dimensionen über dieser Vorgabe. Dies liegt offensichtlich an fehlenden Daten
und auch an fehlenden Vorgaben zur Genehmigung derartiger Produkte. Seit kurzem
werden nun Hüftprothesen in einer hohen Risikoklasse eingruppiert wie z.B. auch
Schrittmacher bzw. ICD. Dies bedeutet, dass ähnlich strenge Prüfauflagen
zwischenzeitlich vorgeschrieben sind. Aber dies fehlte in der Vergangenheit.
Zurück zur Kobaltintoxikation:
Bestimmte Formen von Hüftprothesen (metal-on-metal; d.h.
Metall Kopf, Metall Pfanne) sind mit bestimmten unerwünschten Wirkungen
assoziiert: Metallermüdung und Implantatfrakturen, vermehrter Nachweis von
Tumoren einschließlich hämatologischer Tumoren, und Vergiftungen durch
freigesetzte Metallionen wie z.B. Kobalt. Inwieweit tatsächlich jede Form einer
psychischen Auffälligkeit natürlich mit dem Nachweis erhöhter
Kobaltionenkonzentrationen assoziiert ist, sei dahingestellt (ich trage auch
noch „alte“ Amalgamlegierungen in mir und fühle mich wohl). Aber
zusammenfassend ist diese Thematik offensichtlich wirklich klinisch relevant.
Einen guten Artikel, der diese Thematik zusammenfasst, ist im März im BMJ publiziert.
Was bedeutet dies nun im klinischen Alltag?
Es ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit während der
Anamneseerhebung nachzufragen, ob Operationen oder Implantationen von
Fremdmaterial in der Vergangenheit durchgeführt wurden. Wenn ja .... denken Sie
an den oben beschriebenen Zusammenhang mit der Kobaltintoxikation.
Unabhängig von der Freisetzung der Kobaltionen, die
offensichtlich auch durch fehlerhafte Geometrie der Implantate einzelner
Hersteller bedingt sein kann, können natürlich auch diese Implantate Ursache für eine
Infektion sein. Erst vor kurzem wurde dies von PD Markus Wehler in seinem
Vortrag thematisiert (siehe früherer Blog zur Fortbildung in München). Also, einfach daran denken ....
Hat jemand von Ihnen schon derartige Erfahrungen gemacht?
Kommentierungen sind wie immer willkommen!
Gerne gebe ich an dieser Stelle noch ein Update: Ich habe mich mit Kollegen der Unfallchirurgie in obigere Thematik ausgetauscht. Die Thematik Kobaltintoxikation scheint in Deutschland kein Thema zu sein. Offensichtlich sehr abhängig von der Geometrie der Metal-on-metal Prothesen. Ansonsten wird in der zwischenzeitlich auch in Deutschland angekommenen journalistischen Aufbereitung sehr viel ausgeschlachtet. Daher macht es Sinn, sich fachlich mit den Fachspezialisten auszutauschen und vor allem nicht ùbrreagieren.
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