Warum ist dies alles so schwierig?
Nun, es gibt im wesentlichen Studien zu Patienten der Psychiatrie (Bitte verinnerlichen: "Agitation ist ein NOTFALL", und wird deshalb im Emergency Severity Index als Triagekategorie 2 eingestuft!). Dies bedeutet mit anderen Worten, dass alle beschrittenen pharmakologischen Wege in der Notaufnahme letztendlich experimentell sind und KEINE Zulassung für diese Indikationen bestehen (Off-Label Use).
Außerdem kann ich mich nicht erinnern, dass ich während der Uni bzw. in der Weiterbildung systematisiert auf verschiedene Möglichkeiten der pharmakologischen Intervention hingewiesen worden wäre. Man hat sich alles vom Kollegen abgeschaut, ist mit irgendeinem Weg erfolgreich gewesen, der dann unbeirrbar beibehalten wird ... obwohl sich die Welt zwischenzeitlich gehörig geändert hat. Aber das ist ein anderes Thema ....
Vielleicht zunächst Folgendes zur Wiederholung: Agitierte/aggressive Patienten sind Patienten mit hohem RISIKO. Betroffene Patienten müssen umgehend evaluiert werden und müssen zunächst überwacht werden. Über 50% haben Substanzabusus bzw. haben eine organische Ursache dieser Agitation (bei letzteren fallen mir insbesondere ältere Patienten mit Delir ein, wir hatten aber auch vor kurzem einen jungen Mann, der eine akute Aortendissektion hatte, und die Agitation auf einen Schock zurückzuführen war!). Diese Patientengruppe ist für uns häufig unangenehm ist, denken Sie daran: Diese sind schwer krank und gefährdet! Nicht umsonst spricht man vom psychiatrischen Notfall!
Hinzu kommt, dass z.B. für Haloperidol und Droperidol (letzteres eine insbesondere in Notaufnahmeumgebung SEHR EFFEKTIVE Substanz, einen guten Bericht von C. Colwell finden Sie hier) QT-Zeit Verlängerungen nachgewiesen wurden, und es deshalb zu Einschränkungen der Verfügbarkeit und den Indikationsgebieten gekommen ist. Unglücklich in diesem Zusammenhang ist, dass klinisch keine nachhaltigen unerwünschten Nebenwirkungen evident waren, und trotzdem Marktrücknahmen bzw. Indikationseinschränkungen ausgesprochen wurden. Und man war wieder mal alleine gelassen.
Was müssen Sie beachten?
Ich will nicht ausführlich auf eines meiner Lieblingsthemen eingehen: Nur zur Wiederholung: FIXIEREN ("physical restraint") ist megaout und spielt nur in Ausnahmefällen zu Beginn der Therapie eine (eingeschränkte) Rolle. Mit diesen stereotypen Handlungsweisen steht man immer mit einem Fuß im Gefängnis, und man muss sich eher Gedanken machen, ob aggressive/nicht affektkontrollierte Patienten nicht nach einer ersten notfallmedizinischen Abklärung in entsprechend ausgestattete Institutionen weitergeleitet werden sollten (geschlossene Einrichtungen). In der entsprechenden Situation in der Notaufnahme natürlich zunächst auch keine Lösung. Die Situation muss natürlich individuell entschieden werden. Ein junger Patient nach Drogenexzess wird meist nicht ohne "physical restraint" behandelter sein. Hier könnte z.B. auch die intranasale Gabe von Narkotika (z.B. Midazolom) eine Alternative darstellen.
Und es gibt noch etwas anderes: Insbesondere von Pflegenden wird häufig das Festbinden der Arme von agitierten, älteren Patienten mit Delir praktiziert und das mit der Begründung .... "der zieht ja sonst die Braunüle raus". Dies ist extrem bedenklich und bestätigt meine Einschätzung, dass nicht systematisiert alternative Wege aufgezeigt werden. Es gibt tatsächlich Alternativen! Und die beginnen bei prophylaktischen Maßnahmen, die wunderschön in einem schon vor längerem publizierten Artikel im N Engl J Med thematisiert wurde.
Was nun?
Wir haben uns durch verschiedene Publikationen durchgearbeitet und denke, dass vielleicht hilfreich sein könnte, etwas strukturierter an das Thema "Agitation und Aggression" heranzugehen. Deshalb haben wir folgenden Algorithmus zusammengestellt, der aus meiner Sicht die wesentlichen Punkte des Vorgehens zusammenfasst.
Wir haben im Zusammenhang mit diesem Algorithmus auch die medikamentöse Therapie näher zusammengefasst (Seite 2 des Algorithmus - Agitation, zu finden in unseren Standards - Vorgehen mit dem intoxikierten, aggressiven Patienten ist etwas anders, auch hier individuell entscheiden).
Welche Medikamente und wie appliziert?
Vom praktischen Standpunkt wichtig ist aus meiner Sicht, dass man sich nach Gabe eines Medikaments (vorteilhaft ist die orale Gabe mit modernen Schmelztabletten, da die i.m. Gabe auch als "aggressiver Akt" empfunden wird, aber oft auch nicht vermeidbar ist) sich auch etwas Zeit lässt. Der Wirkeintritt ist meist erst nach einiger Zeit (10-20min, oder länger) zu beobachten!
Die typischen und atypischen Antipsychotika (sehr zu empfehlen sind Zyprexa velotab bzw. Risperdal quicklett, bei älteren Patienten meist in niedrigerer Dosis) können auch gut mit Tavor (Lorazepam) kombiniert werden. Aber bitte nicht verschiedene Antipsychotika in kurzen Abständen applizieren .... die Gefahr des Bewusstseinsverlusts und der daraus abgeleiteten Probleme ist nicht unerheblich.
Als Benzodiazepin wird heutzutage Lorazepam (Tavor) bevorzugt. Bei gewalttätigen, aggressiven Patienten (z.B. Intoxikierte) ist alternativ auch Midazolam verwendbar. Bei entsprechenden Dosierungen muss die Überwachung der Vitalfunktionen garantiert sein!
Ich hoffe, dass fürs Erste einige Aspekte dargestellt werden konnten. Über einzelne praktische Vorgehensweisen müssen wir uns sicherlich noch beschäftigen. Gute Literatur finden Sie bei der ACEP, in Medscape (CME Artikel), in vielen Fachartikeln in Pubmed (wobei häufig nicht auf das eingegangen wird, das für uns wichtig wäre) und natürlich auch in US-amerikanischen Notfallbüchern.
Guten Morgen nach Nürnberg,
AntwortenLöschensehr empfehlenswert zu diesem Thema ist auch "Emergency Psychiatry" von Glick,Berlin Fishkind und Zeller.
Gruß aus Weiden
A.Dauber
Danke für diesen Tipp. Das Buch werden wir bestellen und in unserer Bibliothek zugänglich machen. Beste Grüße nach Weiden!
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