Sonntag, 1. Juli 2012

Der besondere Fall - Unklare Bewusstlosigkeit

Kollege Bernhard aus Leipzig hat in einem Verteiler die zu einem früheren Zeitpunkt in unserem Blog zitierten Paper zur unklaren Bewusstlosigkeit verwiesen, und folgenden skurrilen Fall berichtet. Lesen Sie sich den mal durch ....
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

anbei ein aktuelles Literaturupdate vor dem Hintergrund eines aktuellen Falls: Eine 25-jährige Patientin wird bewusstlos vor einem Penny-Markt gefunden und mit dem V.a. eine Alkoholintoxikation in eine ZNA gebracht. Dort wird der V.a. Alkoholintoxikation ernst genommen und die bewusstlose Patientin mit weiten Pupillen (V.a. Exzitationsysyndrom) in stabiler Seitenlage mit freien Atemwegen gelagert und neben 12-Kanal-EKG, i.v.Zugang, Vitalwertekontrolle und BGA ein C2-Screening durchgeführt und Volumentherapie begonnen. Es ist ein vermeintlicher „Foeter alkoholicus“ zu verzeichnen. Die Patientin ist im gesamten Verlauf kardiopulmonal stabil, der BZ normwertig, kein negativer BE oder eine Anionenlücke, Leberwerte normwertig zu bemerken (z.B. Ketoacidose, Laktatacidose und Leberausfallkoma sind also aus dem Diagnosspektrum). Bis zum Vorliegen des C2-Wertes vergeht 1 h, ohne wesentliche Veränderung des neurologischen Zustandes, der Wert beträgt zum Erstaunen aller Beteiligten 0,000 Promille. Danach kommt ein wenig Schwung in die weitere Diagnostik, es wird nun ein DK zum Tox-Screening im Urin angelegt und ein CCT und CTA sowie die neurologische Konsultation initiiert. Verdachtsdiagnosen sind aktuell: Basilaristhrombose, Hirnblutung, Epilepsie mit Non-konvulsiver Status und andere. Die bildgebende Diagnostik ist erstaunlicherweise unauffällig. Das Urinscreening auf Drogen ist negativ. Als Arbeitshypothese gilt nun ein psychogener Anfall. Letztendlich wird das C2-Screening wiederholt und beträgt plötzlich 4,6 Promille. Damit ist die Bewusstseinsstörung zweifelsfrei geklärt. In der Kontrolle der ersten C2-Messung im Labor zeigt sich dann ein Wert von 4,3 (die Fehlmessung initial bleibt unklar). Die Patientin wird zur Vigilanzkontrolle bis zur Entnüchterung auf eine internistische Intensivstation verlegt.

Was lernen wir daraus: Wir sollten uns trotzdem manchmal auf unsere „Nase“ verlassen.

Schon irgendwie skurril, oder? Falsche Blutabnahme? Probenverwechslung? Kann mir eigentlich nichts anderes vorstellen, als dass bei der Probenverarbeitung (der Laborchemiker spricht von der "Präanalystik") etwas durcheinander ging. Oder haben Sie eine alternative Idee?

1 Kommentar:

  1. Lieber Herr Christ, Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

    wir sind an diesem Fall natürlich zusammen mit unseren exzellenten Laboratoriumsmedizinern weiter dran. Bisher hat sich folgendes gezeigt:
    - keine Probenverwechslung
    - keine falsche Blutabnahme
    - in Nachtestung der initialen Probe wurde tatsächlich der C2 Wert dann korrekt bestimmt

    Die mögliche Ursache für die initiale negative C2-Bestimmung ist noch nicht völlig klar, aktuell erscheint aber ein Problem mit dem laborchemischen Test am wahrscheinlichsten. Das Ereignis wurde an die entsprechende Labortest-Firma gesendet und hier wird nun mit Nachdruck daran geforscht, die Ursache zu erkennen. mutmaßlich ist es ein Problem mit der Extinktion des Testes und dem DELTA der enzymatischen Reaktion.

    Positiv an diesem Fall ist zu vermerken, dass wir viel darüber diskutiert haben: Das differentialdiagnostische interdisziplinäre Vorgehen wurde hinterfragt, die zeitliche Abarbeitung kritisch evaluiert, Testverfahren im Labor einer Überprüfung unterzogen... Letztendlich hätten wir es in einem ähnlichen Fall vergleichbar abgearbeitet.
    An dieser Stelle sind die im hervorragenden Blog von Professor Christ aufgezeigten Algorithmen und Übersichtsartikel zum Angehen einer „unklaren Bewusstlosigkeit“ ungemein hilfreich für die klinische Praxis. Erstaunt ist man dann, wenn nach „großer und sorgfältiger Abarbeitung“ zu allen Aspekten nur ein Ausschluss zu verzeichnen ist. Sinnvoll ist es dann doch noch einmal zurückzutreten und zu überdenken: Wo haben wir vielleicht einen Fehler im System. Dies ist meist viel schwieriger als die Interpretation „positiver“ Laborwerte.

    Besonders bemerkenswert ist an dieser Stelle, dass wir von unseren alten Lehrmeistern immer zu hören bekommen haben „Behandle keine Laborwerte“, und damit haben die Altdenvorderen ja meist auch Recht. Vertrauen wir in geeigneten Momenten auch einfach einmal unserer „Nase“ und der „Intuition“, damit liegen wir sicherlich nicht falsch.

    Sollten wir ein Ergebnis zur Aufarbeitung der C2-Fehlbestimmung erhalten, so werde ich dies mitteilen.

    Mit freundlichen Grüßen

    Ihr

    Michael Bernhard

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