Samstag, 5. Mai 2012

Pfusch in der Notaufnahme - Sendung im Bayerischen Rundfunk

Offensichtlich hat der Essay der Vizepräsidentin der Bayerischen Landesärztekammer, Frau Dr. Lux, doch einiges ausgelöst. Auch das Fernsehen berichtet und bindet auch Prof. Dodt, Präsident der DGINA, in die Diskussion ein.

Hier finden Sie den Link zu einem vor kurzem gesendeten Fernsehbeitrag des Bayerischen Rundfunks.



Erlauben Sie mir einiges der Inhalte zu kommentieren:
1) Die Einführung eines Facharztes für Notfallmedizin (den ich sehr unterstütze!) wird nicht beitragen, die aktuell schwierige Situation in Notaufnahmen zu lösen. Die Arbeitsbelastung und Unzufriedenheit bei Patienten UND Mitarbeitern in Notaufnahmen ist groß. Dies liegt zum einen an den immer mehr ansteigenden Zahl von Patienten, zum anderen an den anachronistischen Organisationsformen innerhalb der Notaufnahmen (Raumstrukturen, Arbeitsabläufe, unzureichende Personalbesetzung) UND Kliniken.

Wie könnte eine Lösung sein? Wir müssen umdenken und uns von den bisherigen Modellen unserer Arbeitsweise trennen. Der "Held der Notfallmedizin", d.h. das Fokussieren auf eine Person, die der Retter in kritischen Situationen ist, ist out. Dies ist nicht mehr zeitgemäß. Modernes Arbeiten bedeutet vernetztes Arbeiten, wir müssen unser Arbeiten verzahnen. Dazu ist ein anderes Denken der Zusammenarbeit notwendig. Die Denkmodelle, die wir während unserer Ausbildung aus dem stationären Bereich erlernt haben (siehe auch die Arbeit von Kellett et al. 2009), passen nicht mehr zu unserem Arbeitsumfeld einer modernen Notfallmedizin. Weniger die exakte Diagnosefindung steht im Vordergrund, sondern die Risikostratifizierung des Patienten. Dies erfordert andere Vorgehens- und Denkweisen.

Und hierzu ist auch ein Umdenken des nicht-ärztlichen Personals notwendig. Fachlich kompetentes und eigenverantwortliches Arbeiten und Handeln des nicht-ärztlichen Personals ist Voraussetzung, um die Aufgaben der Zukunft in den Notaufnahmen meistern zu können. Gestern habe ich den Leiter eines notfallmedizinischen Schulungszentrums aus der Region kennengelernt. Er arbeitet zeitweise in der Schweiz als Rettungsdienstmitarbeiter ("Sanität", bzw. Paramedic). Er erzählte mir von seinem bewundernden Erstaunen, wie hochprofessionell z.B. die Rettungsassistenten in der Schweiz vorgehen und fachlich kompetente Entscheidungen treffen. Dies ist leider in Deutschland kaum möglich. In der Vergangenheit Gefangene und Beharrer sind Hemmschuhe einer modernen Entwicklung! Die Innovationsbereitschaft des medizinischen Personals in der Schweiz war auch meine Erfahrung während meiner Tätigkeit in der Schweiz. Nicht nur die Sanität betreffend, auch die Notfallpflege betreffend. Hier gibt es leider noch wenig Initiativen. Die Rettungsdienstorganisationen sind viel innovationsfreudiger.

Der Facharzt für Notfallmedizin wird diesen Weg wesentlich unterstützen, da er zum einen ein wichtiges und spannendes medizinisches Thema zusammenführt (und nicht die Akteure unterschiedlicher Disziplinen sich individualisiert und unkoordiniert austoben lässt), zum anderen auch Identifikation schaffen wird. Aber zum zufriedenen Arbeiten wird mehr gehören .... wir müssen gemeinsam neue Wege beschreiten. Dies ist Pionierarbeit und extrem spannend, wie das gesamte Feld der modernen Notfallmedizin. Nehmen Sie doch das Buch von Judith Tintinalli. Ein Goldschatz, der gehoben werden muss.

2) Die Argumentation von Frau Dr. Lux gegen den Facharzt, die übrigens über viele Jahre in der Notaufnahme am Klinikum Nürnberg gearbeitet hat,  ist sehr dürftig. Folgt man ihrer Argumentation, müsste jeglicher Schichtdienst in unserer Gesellschaft abgeschafft werden. Auch die frischen Brötchen beim Bäcker werden Sie morgens nicht mehr kaufen können .... denn frühes Aufstehen macht Stress und führt zum Ausbrennen ....  Wenn man diese Argumentationen hört, fühlt man sich Jahrhunderte zurückversetzt, in die Zeit der industriellen Revolution. Ich glaube, dass das derzeitige Arbeitsumfeld in Notaufnahmen einfach noch nicht passt. Fehlende fachliche Supervision im Präsenzdienst in diesem Hochrisikobereich, unmögliche räumliche Bedingungen, unkoordiniertes Arbeiten .... das sind doch die Dinge, die die Probleme machen. Dies hat nichts mit einem Facharzt zu tun.

Dass die Situation in Notaufnahmen der Gegenwart in Deutschland unzureichend ist und man nicht vernünftig ärztlich und nicht-ärztlich Arbeiten kann, ist von meiner Seite unbestritten. Frau Dr. Lux hat die Chance, diese Situation zu ändern. Wie im Erwiderungsschreiben der Chefärzte aus bayerischen Kliniken formuliert, möchte auch ich Frau Dr. Lux ermutigen, die berufspolitisch notwendigen Entscheidungen mit zu entwickeln, damit die Notaufnahmen ihren derzeitigen Negativ-Status verlieren. Klinische Notfall- und Akutmedizin ist extrem spannend, wir müssen etwas völlig Neues aufbauen. Wir sind die Pioniere! Und hierzu kann sich - zumindest bei uns in Nürnberg - wirklich jeder beteiligen! Also, let´s start ....

5 Kommentare:

  1. Erlauben Sie mir zum Umdenken des nicht-ärztlichen-Personals folgende Anmerkungen und Fragen:

    Ich möchte vorallem für die Pflege sprechen, denn dieser Berufsgruppe gehöre ich selber an. Ich arbeite in einer Notaufnahme. In der kommenden Zeit werden unsere Dienstzeiten, bedingt durch das höhere Patientenaufkommen, auf die Nachmittags- und Abendstunden verlegt. Es wird dann zwar mehr Pflegepersonal vorherrschen aber nicht mehr Ärzte.

    Immer wieder ist es zuerst die Pflege, die sich flexibel anpasst, die Aufgaben übernimmt oder abgibt. Ein wiederholtes Umdenken wird für uns sicher kein Problem werden, denn das haben wir in letzten Jahren und in der Entwicklung unseres Berufes schon zig mal bewiesen.

    Die Änderung der Dienstzeiten im nicht-ärztlichen-Bereich, wird meiner Meinung nach nicht dazu führen, dass Patienten schneller behandelt werden, solange kaum Änderungen in der Organisation und den gewachsenen Strukturen auch im Ärztlichen Dienst stattfinden.

    Wenn das Patientenaufkommen extrem hoch ist, haben wir in der Vergangeheit eine zusätzliche Sichtung durch einen erfahrenen Arzt installiert, der nach kurzem Gespräch mit den Patienten Diagnoseverfahren und eine rasche Verlegung auf die Stationen anordnet. Warum kann man dies nicht generell für alle Patienten einführen, die aufgrund einer chronischen Erkrankung, einem bekannten Krebsleiden oder einfach wegen einer Versorgungsproblematik in die Klinik gebracht werden und deren Leben nicht bedroht ist?

    Wenn besonders in diesen Fällen nicht auch auf ärztlicher Seite umgedacht werden wird, dann befürchte ich, dass die wirklich beschwerlichen und belastenden Wartezeiten, die zu starken Unmut bei den Patienten und deren Angehörigen berechtigterweise führt, nicht verkürzt werden können.

    Lebensbedrohlich erkrankte Patienten versorgen wir optimal und sehr gut.

    Aber die anderen Akutkranken erleben weiterhin lange Wartezeiten, auch wenn es nur um die Befunde oder die Verlegungs- oder Entlassungspapiere geht.

    Toll wäre die Einführung von Standarts, welche Untersuchungen bzw. Diagnoseverfahren bei bestimmten und klaren Symptomen und Verdachtsfällen anzuwenden sind, gerne auch auf kurzem Wege in Absprache mit dem Arzt. Ebenfalls eine klare Regelung für Infusionsgaben bei Fieber, bzw. Schmerzen.

    Und natürlich das Vertrauen, dass jedes Mitglied des nicht-ärztlichen Personals gewissenhaft diese Standarts anwenden kann und auch darf.

    Dies wäre auch ein Beitrag um den Negativstatus der Notaufnahmen zu verbesser, weil Patienten schnell Linderungen und Hilfe erhalten, sodass Wartezeiten dann auch eher in Kauf genommen werden. Schmerzen und Durst sollte kein Patient leiden, auch wenn es in den Notaufnahmen noch so hoch hergeht.

    In diesem Sinne let´s start...

    Ps:ich muss diesen Beitrag anonym posten, da ich weder ein Google-Konto oder ähnliches habe, so bleibt mir nur diese Variante.Ich verrate aber gerne auch meine Identität.

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  2. Danke herzlich für Ihren Kommentar! Sie sprechen mir in vielen Punkten aus der Seele.
    Voraussetzung für die Vorschläge, die Sie gemacht haben, ist fachliche Kompetenz und gegenseitiges Vertrauen im ärztlichen und nicht-ärztlichen Bereich. Und da machen wir es uns manchmal richtig schwer.

    Leider erlebe ich sehr unterschiedliche Verhaltensweisen, Denk- und Sichtweisen unserer Mitarbeiter, und stelle nüchtern fest, dass im ärztlichen und nicht-ärztlichen Bereich erheblicher Nachholbedarf hinsichtlich professionellen medizinischen Handelns besteht. Wartezeiten sind nicht alles.

    Ich habe sehr gut funktionierende Modelle von Notaufnahmen in der Schweiz kennengelernt. Auch meine Einblicke von Großbritannien oder den USA sind beeindruckend. Ich glaube nicht, dass "nur" die Pflege sich bewegen muss bzw. bewegt. Auch Ärzte erleben eine rasante Änderung ihres Arbeitsumfelds und müssen sich bewegen. Zusammenfassend bin ich fest überzeugt, dass der Arzt nicht funktionieren kann ohne eine professionelle Pflegende, und natürlich auch umgekehrt. Vielleicht wäre manchmal hilfreich, sich auch auf die Sorgen des anderen einzulassen (diese bestehen auf allen Seiten), aber auch Lösungen für die Zukunft gemeinsam zu entwickeln.

    Auch Standards sind nicht die "allheilende" Lösung. Ich erlebe tagtäglich - z.B. bei Visiten oder bei der häufig für mich zu kurz kommenden direkten Patientenversorgung - regelmässig Überraschungen bei klinischen Bildern. Und bin immer wieder positiv überrascht, wie junge Kollegen klinische Probleme erfolgreich lösen, bei denen ich selbst größte Probleme habe. Viele dieser Erlebnisse passen leider in kein standardisiertes Muster. Mein Ansatz ist deshalb, zwar Eckpunkte zu standardisieren, aber insbesondere das Wissen von Ärzten und Nicht-Ärzten zu stärken, dass gute Entscheidungen auf individueller Basis unter Beachtung von "Evidenzen" getroffen werden können.

    Ein Problem im ärztlichen Bereich ist, dass der Krankenhausbetrieb größtenteils durch Ärzte in Weiterbildung betrieben wird. Sie starten also immer wieder von Neuem. Krankenhäuser bieten momentan kein attraktives Arbeitsumfeld für ausgebildete Ärzte. Dies wird nicht kurzfristig zu ändern sein.

    Unser Ansatz ist momentan, fachliches Wissen zu festigen und Schritt für Schritt neue Organisationsformen umzusetzen. Diese neuen Wege machen aber vielen Angst. Vielleicht wäre hier auch manchmal etwas mehr Vertrauen und "Offenheit" hilfreich. Aber auch hier gibt es natürlich eine nicht überschaubare Verflechtung von internen und externen Einwirkungen, die Sie als Einzelperson kaum kontrollieren oder steuern können.

    Vielleicht gibt es ja mal eine Möglichkeit, sich gelegentlich persönlich auszutauschen. Meine eMail ist bekannt. Gute Ideen sind willkommen!

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  3. Noch ein kleiner Nachtrag:
    Eine standardisierte Abklärung bei klaren Leitsymptomen ist leider nicht möglich. Liegt in der Natur der Sache. Den "diagnostischen Blick" zu entwickeln, erfordert jahrelange Erfahrung - und auch Misserfolge, und glauben Sie nicht, wie häufig ich mich heute noch irre. Ihr Wunsch ist berechtigt, die Biologie ist da leider gegen uns. Wussten Sie z.B., dass etwa 40% der Patienten mit Infarkt überhaupt keine "Brustschmerzen" haben bzw. nur 15% der Patienten mit Brustschmerzen einen Infarkt haben. Sicherlich eines der einfachsten Krankheitsbilder, und da gibt es schon diese Probleme. Man würde es sich anders wünschen.

    Und dann noch zu diesem Post:
    Gerne lade ich Sie ein, selbst einen Beitrag zu schreiben und die Belange der Pflege zu vertreten. Sie müssen verstehen, dass ich in erster Linie versuche, die Weiterbildung zum Notfallmediziner zu unterstützen. Ich unterstütze auch die Anstrengungen zur Notfallpflege. Hier ist vieles sehr ruhig geworden. Auch hier wäre ein neuer Impuls hilfreich.

    Schönen Abend noch!

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  4. Interessante Argumentation von Frau Dr. Lux. Allerdings handelt es sich m.E. nicht um ein Problem der Notfallmedizin, sondern der gesamten Krankenhausmedizin.
    Aus der FAZ: "Wer seine Lebensperspektive als angestellter Arzt in einer Klinik sieht, muss sich auf Strukturen verlassen können, in denen er arbeiten kann, ohne auszubrennen - und zwar lebenslang."
    Das ist doch der springende Punkt! Und diese Strukturen zu schaffen, ist in einer Notaufnahme genauso wichtig (und möglich!) wie auf einer Station oder in einer Funktionsabteilung.
    Hier der gesamte und hochinteressante Artikel:
    http://www.faz.net/aktuell/wissen/medizin/generation-y-der-alte-arzt-hat-ausgedient-11729029.html

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  5. Danke für den Kommentar. Den FAZ Artikel kannte ich schon .... und es ist auch schon ein Post vorbereitet .... coming soon ;-)

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